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Miteinander auf dem Weg: Hingabe (03/2024)

Mit großen Schritten geht es nun auf Ostern zu, ein vertrautes Fest mit vertrauten Bräuchen und Zeichen. Ich feiere gerne mit Palmzweigen und Ostereiern, mit Osterkerze und Osterlamm. Doch eigentlich sind all diese Zeichen fast zu vertraut, um mit der Bedeutung dieses Festes, Schritt zu halten. Glauben wir doch eigentlich Ungeheuerliches: Das Licht und das Gute sollen stärker sein als Dunkel und Hass; das Leben soll mächtiger sein als Gewalt und Tod, die an allen Ecken lauern und denen kein Mensch entkommen kann. Und einer, Jesus Christus, soll uns durch den Tod vorausgegangen sein und ihn überwunden haben. Wie kann das sein? Und wie können wir dieses Wunder begreifen? Zwei Zeichen auf meinem Oster-Weg haben mich dieses Jahr besonders beeindruckt: ein bekanntes und ein sehr ungewöhnliches Zeichen.

Das erste Zeichen steht am Anfang: Die Asche. 40 Tage lang sind wir jedes Jahr unterwegs, um dem Ostergeheimnis auf die Spur zu kommen, immer ist es eine Reise zwischen Tod und Leben. So sind wir am Aschermittwoch mit diesem – sehr vertrauten – Zeichen gestartet. Auch der Asche, die wir in einem kleinen Feuerchen aus den Palmzweigen des letzten Jahres gewonnen haben, sieht man das Ungewöhnliche und Gewaltige eigentlich gar nicht mehr an, wenn sie einem in Bröseln aufgelegt wird.

Denn Asche ist für mich ein mächtiges Zeichen! Wer schon einmal einen Waldbrand hautnah erlebt hat, kann das erahnen. Vor über dreißig Jahren auf Kreta wollten wir mit dem Motorrad aus den Bergen zurück zu unserem Campingplatz fahren und kamen mitten in einen Waldbrand hinein. Die Flammen schlugen an den Seiten der Passstraße hoch nach oben, vorbei an einzelnen Feuerwehrautos ging es hinab ins Tal und als es dunkel wurde, sah man den ganzen Berg und das ganze Tal in Flammen stehen. Nichts blieb übrig außer Asche.

Asche – sie steht auch für die Ereignisse, die das Leben auf der Erde am nachhaltigsten geprägt haben: die Vulkane. Wir Menschen mit unserer geringen Lebensspanne übersehen oft ihre Bedeutung. Als vor ca. 39000 Jahren die Campi Flegrei bei Neapel zuletzt in einer Supereruption ausbrachen, verdunkelte sich die ganze Nordhalbkugel und noch heute finden sich knapp einen Meter dicke Ascheschichten bis in Rumänien. Diese Gewalt brachte dem Leben und vielen Arten den Tod, auch das Verschwinden des Neandertalers kann man mit diesem Ausbruch in Verbindung bringen.

So steht am Anfang unseres Oster-Weges die Asche als Zeichen der Vergänglichkeit. „Bedenke Mensch!“ Wer bist Du eigentlich? Bist Du so bedeutsam? Stehen wir nicht ohnmächtig in dieser Welt? Droht nicht allem Leben der Tod?

Doch mit der Asche beginnt schon etwas Neues. Wer heute über Neapel, vorbei an den Campi Flegrei und dem Vesuv Richtung Amalfiküste fährt, wird neben den Ruinen von Pompeji und Herkulaneum auch noch blühendes Leben finden. Aus Zerstörung und Asche ist fruchtbares Land geworden, aus Vernichtung und Tod wächst neues Leben hervor. Und auch die aktiven Unterseevulkane zwischen Neapel und Sizilien bescheren dem Meer einen ungewöhnlichen Reichtum an Leben. Dieses Geheimnis haben viele Völker in ein mythologisches Bild gegossen, in ein Fabelwesen, den Phönix. Alt geworden verbrennt er – und steht aus der Asche zu neuem Leben auf. Es ist die alte Frage, die österliche Frage: Wie kann aus Vernichtung und Tod neues Leben entstehen? Wie können sich in einer oft dunklen Welt, in der Menschen beinahe ohnmächtig Gewalt, Krieg und Zerstörung ausgeliefert sind, das Gute, Liebe und Frieden, Versöhnung und Heil durchsetzen?

Für diesen Traum, für diese Sehnsucht steht der feurige Vogel Phönix, und doch bleibt diese Verwandlung ein Wunder, ein Geheimnis.

Das zweite Zeichen meines Oster-Weges steht am Ende dieses Weges, es ist ein sehr ungewöhnliches Zeichen – und ich muss dazu etwas ausholen, denn es handelt sich um meine bestickten Hosenträger.

Um eine vollständige Tracht zu haben, braucht es bei uns im Dorf bestickte Hosenträger nach einem ganz bestimmten Muster. Ich selbst kann nicht sticken und auch keiner aus meiner Familie kann das: viele Stunden dasitzen und präzise Stich für Stich die traditionellen Muster auf der Unterlage gestalten. Aber in unserem Dorf lebt ein Engel, der schon für viele diese Arbeit getan hat, nennen wir sie hier mal Doris. Als ich damals gefragt hatte, ob sie auch mir Hosenträger sticken würde, meinte sie: „Gern. Aber das kann dauern. Weißt du, ich mache das aus Freude und nur wenn ich Spaß dran habe, setze ich mich dazu hin.“ Eineinhalb Jahre habe ich gewartet, dann war ich dran. Doris verdient damit kein Geld, sie macht diese anstrengende Arbeit aus Leidenschaft und sie macht sie auch für die Dorfgemeinschaft. Ihr Geheimnis ist: Sie macht es aus Hingabe!

Ich kenne viele Menschen, die etwas für andere tun, die sich dafür nicht bezahlen lassen, die sich nicht um der Bewunderung und der Anerkennung Willen anstrengen, sondern weil es „ihr Ding“ ist, „ihre Sache“, „ihre Leidenschaft“. Es ist die Frau, die in ihrem Ort die Tafel organisiert; das Team, das sich um die Begleitung von Flüchtlingen sorgt, der Vorstand im Verein, die Leiterin der Blasmusik und viele, viele mehr. Was sie eint, ist die Erkenntnis: Egal, was Du tust, tu es mit Leidenschaft und Hingabe – für die Menschen und das Leben.

Und so sind wir schon mitten im großen Ostergeheimnis von Tod und Leben angekommen. Hingabe! Sie ist auch das österliche Geheimnis Gottes, das Geheimnis Jesu: die Hingabe! Gott bleibt nicht bei sich, in Jesus wird er Mensch und gibt sich ganz dem Menschen hin. In rauer Umgebung predigt und lebt er Barmherzigkeit und Versöhnung, Frieden und einen einfachen Lebensstil, macht gesund und schenkt Heilung – leidenschaftlich und hingebungsvoll. Und am Karfreitag stehen sie sich schließlich direkt gegenüber: Die Asche der Vernichtung und des Todes auf der einen Seite – die Hingabe und die Leidenschaft auf der anderen Seite. Es ist die Hingabe an die Sache Gottes für das Heil der Menschen. Es die totale Hingabe Jesu, der sein Leben hingibt, durch die der Tod schließlich zum Anfang eines neuen Lebens wird. In der Hingabe wächst Leben gegen alle Vernichtung!

So gehe ich dieses Jahr auf Ostern zu. Mit den Gedanken an die Asche, in einer Welt, in der wir Gewalt, Vernichtung und Tod ausgesetzt sind. Und mit meinen Hosenträgern, die mich an das erinnern, was in dieser Welt tatsächlich Leben schenkt: Leidenschaft und Hingabe.

 Robert Ischwang, Diözesan-Altenseelsorger