Kennen Sie das: Du hast in der Nacht geträumt – einen starken, aufwühlenden Traum. Du wachst auf und bist noch mittendrin in den Gefühlen und Bildern deines Traumes. Auch die innere Logik des Traumes ist noch voll da. Doch je wacher du wirst, desto mehr verblasst diese Traum-Realität mit ihren bedeutungsvollen Bildern, Symbolen und Gefühlen. Du versuchst – vielleicht beim Frühstück – die Einzelheiten deines Traumes einem vertrauten Menschen zu erzählen, doch jetzt erscheint dir vieles nur noch rätselhaft und verwirrend, die innere Logik ist weg, der Faden ist verloren, der Traum ist verblasst. Viele Menschen halten deshalb Träume für Quatsch. „Träume sind Schäume“ – sagen sie. Doch das stimmt nicht! Träume enthalten oft wichtige Botschaften aus unserer Seele. Und manchmal – so möchte ich behaupten – spricht auch Gott durch unsere Träume zu uns. Wir müssen ihre Sprache nur entziffern!
Warum diese Einleitung? Ich finde, das heutige Evangelium klingt wie die Schilderung eines Traumes, eines starken, aufwühlenden Traumes. Es ist eine Ostergeschichte. Der Auferstandene erscheint seinen Jüngern. Sie erkennen ihn und erkennen ihn doch nicht. Wie in einem Traum ist da manches: verwirrend, durcheinander, rätselhaft und dennoch voll von Bedeutung und Symbolkraft. Es lohnt sich zu fragen: Was bedeutet das für uns? Was will Gott uns sagen?
Ein Erstes: Der Auferstandene offenbart sich mitten im Alltag, mitten in der Erfahrung vergeblicher Arbeit. Die Jünger waren offenbar in ihren Alltag zurückgekehrt. Nach den traumatischen Erlebnissen um die Kreuzigung von Jesus hatten sie sich nach Galiläa zurückgezogen. Auch die Osterereignisse – das, was die Frauen vom leeren Grab erzählt hatten, und was sie selbst mit dem Auferstandenen erlebt hatten… – all das Wunderbare, Verrückte und Unfassbare … – das war irgendwie noch nicht so richtig bei ihnen angekommen. Ostern war noch keine Realität in ihrem Leben geworden. Und so waren sie dorthin zurückgekehrt, woher sie gekommen waren: an den See Tiberias, der bekannter ist unter dem Namen „See Genezareth“. Petrus ging wieder seinem alten Beruf nach, und andere Jünger auch: nachts auf den See fahren, die Netze auswerfen und fischen. So wie sie es auch schon früher gemacht hatten, – bevor Jesus sie in seine Nachfolge berief. Was sollten sie jetzt auch anderes tun – ohne ihn? Das Leben geht weiter. Der Alltag hat uns wieder!
So werfen sie also ihre Netze aus, doch die Netze bleiben leer. Frust und Enttäuschung. Vergebliche Liebesmüh…
Eben in diesen Alltag hinein fragt sie Jesus: „Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen?“ Und wie die Jünger damals müssen leider auch wir oft antworten: „Nein! Wir haben nichts!“ Nein, wir können nicht helfen. Nein, wir sind im Moment ratlos, machtlos. Und in genau diese Situation hinein offenbart sich Jesus, der Auferstandene. Unser Alltag ist ihm nicht zu alltäglich. Unsere leeren Netze sind ihm nicht zu schäbig… Im Evangelium heißt es: „Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer.“ Und dann wieder etwas Verwirrendes … wie im Traum: „Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war!“ Der Auferstandene ist irgendwie fremd, er begegnet ihnen neu und anders. Sie können nicht einfach sagen: „Ach natürlich, das ist ja Jesus, den kennen wir doch. Wir wissen genau, wie er ist.“
Und das ist die zweite Erfahrung, die aus dieser eigenartigen Ostergeschichte spricht: Jesus Christus offenbart sich vertraut und doch verborgen, bekannt und doch fremd.
Die Jünger jedenfalls werden aufgefordert, ihre leeren Netze nochmals auszuwerfen, entgegen allen Regeln ihres Handwerks und obwohl jeder Experte ihnen wohl einen Vogel gezeigt hätte! Und was tun sie? Sie wagen es. Sie vertrauen, obwohl sie die Gestalt am Ufer noch nicht erkannt haben.
Und dann ist alles wieder wie im Traum: Das Netz ist so voll mit Fischen, dass sie es kaum mehr einholen können. Erst jetzt und erst daran erkennt einer von den sieben Jüngern Jesus wieder: Es ist der Herr! Der Text sagt, es sei der Jünger gewesen, den Jesus besonders liebte. Der weiß es auf einmal. Der hat nicht nur gesehen, sondern auch erkannt. Der Jünger, den Jesus lieb hatte… Liebe öffnet also die Augen, Liebe fügt zusammen, was zusammengehört, Liebe findet Worte des Wiedererkennens: Es ist der Herr!
Und das ist mein 3. Gedanke: Der Auferstandene füllt unsere leeren Netze.
Und feiert mit uns Gemeinschaft. Ja, es kann eine überwältigende Erfahrung sein, wenn plötzlich etwas gelingt, was vorher nur wie ein weiterer verzweifelter und vergeblicher Versuch aussah. Plötzlich dann doch: ein gesegneter Fang, volle Netze: 153 große Fische.
Zahlen haben im alten Orient für die Menschen auch inhaltliche Bedeutung gehabt. Zum Beispiel hat am 17. Tag des zweiten Monats im jüdischen Kalender die Sintflut begonnen und am 17. Tag des siebten Monats gewinnt die Arche Noah wieder trockenes Land. Aus solchen Hinweisen galt die 17 als die Zahl der Überwindung und des neuen Anfangs. Zählt man die Zahlen von 1 bis 17 zusammen, dann ergibt dies 153. Alles, was zwischen diesen beiden Zahlen liegt, ist also in 153 eingeschlossen. Zoologen des Altertums unterscheiden 153 Gattungen von Fischen. Und tatsächlich fand ein amerikanisches Forscherteam vor einigen Jahren heraus, dass es im See Genezareth heute exakt 153 verschiedene Fischarten gibt.
Es ist der Herr! Keine leeren Netze mehr, sondern der Fang ihres Lebens. Fische in Hülle und Fülle, mehr als sie essen können: 153 Fische!
Zum Schluss wechselt das Bild noch einmal – wieder wie in einem Traum: Der Auferstandene hat am Ufer bereits ein Feuer mit Kohlen gemacht. Und Fische und Brot sind schon bereit für ein wunderbares Osterfrühstück, ein „Abendmahl“ am frühen Morgen. Jesus nahm das Brot, wie er es so oft getan hat. Und die Gemeinschaft mit ihm ist perfekt!
So wirkt der Auferstandene: geheimnisvoll-traumhaft, verborgen und doch ganz real. Mitten in unseren Alltag hinein. Und genau das feiern wir in jeder Eucharistiefeier.
Amen.