Quelle: Jörg Ernesti in: DIE WELT vom 29.06.2023 —
Wohl jeder Beobachter des politischen Geschehens fragt sich derzeit, wann und wie die beiden Konfliktparteien im Ukraine-Krieg endlich an den Verhandlungstisch kommen. Wo wird dieser Verhandlungstisch stehen, und wer ist als Vermittler vorstellbar? Im Blick auf die guten Dienste bei der Aushandlung des Getreideabkommens mochte man im vergangenen Jahr noch an die Türkei denken, doch kommt ein Nato-Mitglied letztlich kaum infrage. Andere Staaten wie China oder Schweden haben sich aus unterschiedlichen Gründen aus dem Spiel genommen. Der Generalsekretär der Uno, António Guterres, hat den Angriffskrieg mehrfach verurteilt, sodass der Kreml die UN wahrscheinlich nicht als neutralen Vermittler akzeptieren würde.
Immer wieder wird dagegen der Heilige Stuhl genannt. Am 20. Mai hat Papst Franziskus eine Friedensmission angekündigt und den Erzbischof von Bologna, Kardinal Matteo Zuppi (67), zu Gesprächen nach Kiew entsandt, von denen er Anfang Juni zurückgekehrt ist. An diesem Mittwoch nun wurde Zuppi in Moskau erwartet. Doch ist eine päpstliche Vermittlung überhaupt realistisch? Braucht es nicht vielmehr militärisches oder wirtschaftliches Gewicht, um bei eventuellen Verhandlungen mit Autorität auftreten zu können?
Was die persönliche Haltung des Papstes angeht, ist seit Sommer 2022 eine klare Richtung zu erkennen, die er konsequent verfolgt. Nach anfänglicher Zurückhaltung hat er die russische Aggression und die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung mehrfach verurteilt. Doch bewusst schlägt er alle Einladungen aus, nach Kiew zu reisen. Er ist überzeugt: Ein solcher Besuch würde von den Medien als moralische Unterstützung der ukrainischen Seite gedeutet und müsste alle Chancen für humanitäre Interventionen oder gar für eine päpstliche Friedensvermittlung zunichtemachen.
Franziskus hat wiederholt betont, dass der Schlüssel für eine Lösung des Konflikts aus seiner Sicht in Moskau liegt und er deshalb zuerst in die russische Hauptstadt reisen müsse. Diplomatisch höchst ungewöhnlich hat das vatikanische Staatssekretariat im Kreml mehrfach um eine Einladung gebeten, die aber bis heute ausgeblieben ist.
Angesichts dieser Vorgeschichte scheint die jetzige Friedensmission ein geschickter Schachzug zu sein, und das aus zwei Gründen. Nicht der offizielle vatikanische Apparat, also das für die Außenpolitik zuständige Staatssekretariat, hat nach außen die Federführung bei der Friedensmission. Dazu passt die Sprachregelung, die der vatikanische Pressesprecher vorgelegt hat: Der entstandte Kardinal Zuppi handle lediglich „im Einvernehmen“ mit der Behörde. Sicher wird damit das Staatssekretariat nicht ausgebootet. In allen außenpolitischen Fragen führt dem diplomatisch nicht ausgebildeten Pontifex sein einschlägig versierter Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin die Hand. Das ist auch jetzt nicht anders.
Ganz offenkundig soll aber die offizielle päpstliche Diplomatie durch die Übertragung der Friedensmission an einen italienischen Diözesanbischof vor einer möglichen Beschädigung bewahrt werden. Eine solche wäre gegeben, wenn etwa Parolin oder der vatikanische Außenpolitik-Beauftragte Paul Gallagher in die beiden Hauptstädte reisen würden und man sie dort auflaufen ließe. Damit wäre der Heilige Stuhl als Vermittler dauerhaft geschwächt.
Ein Zweites kommt hinzu. Mit der Wahl Zuppis kann Franziskus zugleich einen bewährten Weg beschreiten. Der Erzbischof gehört der katholischen Laienbewegung Sant’Egidio an. Im Blick auf Friedensverhandlungen ist er kein Newcomer. Er war federführend an den Friedensverhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien in Mosambik beteiligt, die 1992 zum Abschluss des Vertrages von Rom führten. Der damalige UN-Generalsekretär Boutros-Ghali würdigte die Mischung aus ”Vertraulichkeit und Informalität” als Schlüssel zum Erfolg der Verhandlungen.
Immer wieder hört man unter Kirchen-Insidern den Vorwurf, durch die Gemeinschaft Sant’Egidio werde eine ”Neben-Außenpolitik” betrieben. Bewusst werde hier im halb-offiziellen Bereich agiert. Das ist nur zum Teil richtig. Der Heilige Stuhl ist ein internationaler Souverän mit dem Papst als Staatsoberhaupt. Die außenpolitischen Initiativen jener Laienbewegung zeigen, dass es manchmal hilfreich sein kann, mit niederschwelligen Gesprächen zu beginnen und übertriebene Erwartungen zurückzuweisen. Allem Anschein nach muss man so die Vorgehensweise des katholischen Kirchenführers deuten. Jedenfalls lässt dieser sich von Rückschlägen nicht entmutigen, zu einer Friedenslösung beizutragen. Man sollte den alten Mann auf dem Stuhl Petri nicht unterschätzen.
Der Autor ist Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Augsburg. Soeben ist von ihm das Buch ”Friedensmacht. Die vatikanische Außenpolitik seit 1870” erschienen.