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Zur Krippe herkommet …

Bald schon werden 40 Jahre vergangen sein, seit ich ein Jahr an der Universität Innsbruck studiert habe. Gewohnt haben wir damals zu dritt in einer kleinen Ferienwohnung in einem Dorf auf der Sonnenterasse am südlichen Rand des Inntals. Und bis heute beginnt für viele der Dorfbewohnerinnen und -bewohner dort im Dezember nicht nur einfach der Advent, sondern die Zeit einer ganz besonderen Leidenschaft. Die Wohnzimmer werden zum Teil ausgeräumt, auf Tafeln und Tischen wachsen Landschaften empor, manche orientalisch, andere tirolerisch: Berge, Hänge, Wiesen und vor allem große meist verfallene Ställe und Höhlen, Feuerstellen, Heu und Futtertröge. Dann werden aus Kellern und Schuppen Berge von Schachteln und Kartons hereingetragen und dann beginnt das große Auspacken: Aus dem Papier lösen sich Schafe, Ziegen, Pferde, Kamele, ja sogar Elefanten, und dann schließlich Hirten, Könige, Maria, Josef und schließlich das kleine Jesuskind. Es ist wieder Krippenzeit.

Eine solche Krippe zu entwerfen, sie zu bauen, zu pflegen und immer wieder in Szene zu setzen, ist natürlich Kunsthandwerk und Tradition. Manches Brauchtum hat sich um diese großen Krippen herum entwickelt, bis hin zum feucht-fröhlichen Kripperlschauen, bei dem man von Haus zu Haus zieht, die Krippen lobt und mit einem Schnaps darauf und auf ein gutes neues Jahr anstößt. Doch unsere Krippen sind weit mehr als Kunst und Tradition, sie sind eine echte Leidenschaft. Vielleicht können diese Begeisterung nur echte Modelleisenbahner verstehen, die Monate und Jahre in Bau und Pflege ihrer Anlagen investiert haben, um eine Wirklichkeit real werden zu lassen, die ihr alltägliches Leben bei weitem übersteigt: das Planen und Schaffen ganzer Landschaften und Eisenbahnen. Und so ist es auch mit den Krippen: Ich spiele nicht nur einfach mit Landschaften und Figuren, ich entwerfe nicht nur eine plastische Szene, sondern bekomme Anteil an einem Geschehen weit vor unserer Zeit, werde ein Teil dieser großen Geschichte.

Ich bin überzeugt davon, dass der Heilige Franziskus von Assisi als er im Jahr 1223 im italienischen Greccio Weihnachten feierte, von ähnlichen Gedanken bewegt war. Erstmals ließ er die Geburt Jesu plastisch in Szene setzen – und gilt somit als Erfinder der Weihnachtskrippe. Dazu verwendete er zum Erstaunen aller aber keine geschnitzten Figuren, sondern lebendige Menschen. Ins Stroh der Futterkrippe legte er ein richtiges Baby hinein. Und um diese Gruppe herum feierte er die Christmette.

Gedanken und Besinnliches

Ich kann gut nachempfinden, was sich Franziskus schon damals gedacht hatte: Die Weihnachtsgeschichte, von der Lukas in seinem Evangelium berichtet, ist nicht einfach eine Erzählung aus der Vergangenheit, die man Kindern wie ein altes Märchen weitererzählt. Die Kirche, in der er es feierte, kein Museum oder Relikt aus alten Tagen, dem man aus Interesse noch einen Besuch abstattet oder über das man in Kunstführern schreibt. Was Lukas erzählt, das geschieht heute: Gott wird Mensch in meiner Zeit und in meiner Welt.

Das ist es, was wir in unserem doch recht idyllischen Weihnacht-Feiern oft nicht mehr spüren können: Es geht ums echte Leben! Echt wie das Baby in der Krippe des Franziskus. Echt wie das Baby auf unserem Rundbrief. Gott will auch heute Mensch werden, wie damals in Betlehem, so heute mitten unter uns.

Ein Baby – angewiesen auf den Schutz der Eltern. Ein Baby – der Anfang eines neuen Lebens. Was steckt in ihm? Was wird wohl aus ihm werden? Was wird zur Entfaltung kommen? Für das Baby, das wir an Weihnachten feiern, können wir es sagen: In ihm hat sich Gott entfaltet, so wie er ist, einer, der das Leben und die Menschen liebt. Der erwachsene Jesus: Er heilt Kranke, nimmt sich der Armen an, sorgt sich um die Schwachen, tröstet die Trauernden, macht Hoffnung auf ein Leben bei Gott. Er sucht nicht den Streit, sondern stiftet Versöhnung, lehnt Gewalt ab, fordert Gerechtigkeit, lebt die Barmherzigkeit und riskiert sein Leben dafür. Genau so wird Gott Mensch.

Gerade in diesen Tagen nach dem Überfall der Hamas auf Israel, dem Krieg Israels gegen die Terrorgruppen von Hamas und Hisbollah sind wieder die Unschuldigen, die Kleinen, Kinder und Erwachsenen, Familien aller Altersstufen die Opfer von Gewalt und Terror. In dem Land, in dem Gott beschloss, unter diesen Kleinen und Ohnmächtigen Mensch zu werden. Nur aus ihrer Mitte heraus werden Versöhnung und Frieden wachsen können.

Egal ob ich mit den großen Krippen Tirols oder dem Bild eines echten Babys auf Weihnachten zugehe, es bedeutet mir: Das Gute, die Güte, Barmherzigkeit und Versöhnung sind nicht nur in dieser Welt oft nur ein kleines Licht, sondern auch in meinem Leben. Doch das ist Weihnachten: ein Anfang! Du weißt noch nicht, was daraus wird! Du musst nur Ja-Sagen, wie Maria damals: Ja, Gott, Du sollst Mensch werden bei mir. Und schon sind wir in Betlehem!

Oder wie Rudolf Otto Wiemer einmal dichtete:
„Sage, wo ist Betlehem? Komm doch mit, ich zeig es dir!
Musst nur gehen, musst nur sehen – Betlehem ist jetzt und hier.“

Robert Ischwang, Diözesan-Altenseelsorger